Grundlagen
Vereinfacht dargestellt treten Erosionen auf, wenn Zähne ohne Einfluss von Mikroorganismen einer Lösung ausgesetzt werden, die an Zahnmineral untersättigt ist. Allgemein bekannte Faktoren für eine Über- oder Untersättigung sind in erster Linie die Konzentration an Mineralien (v. a. Calcium/Phosphat) sowie der pH-Wert, also das Vorhandensein von Säuren in der Lösung. Ganz vereinfacht kann dabei gesagt werden, dass eine Demineralisation der Zahnhartsubstanzen in Form einer Erosion stattfindet, wenn der pH-Wert in der Umgebung des Zahnes unter den sogenannten kritischen pH-Wert sinkt. Dieser beträgt bei Schmelz 5,7 und bei Dentin 6,5. Diese Werte gelten aber nur, wenn in der Zahnumgebung die Konzentration der wesentlichen Zahnmineralien (Calcium/Phosphat) im physiologischen Bereich des Speichels liegen. Das bedeutet, wenn weniger Zahnmineral als physiologisch üblich in der Umgebung des Zahnes oder in der angreifenden Lösung vorliegt, kann eine Zahndemineralisation auch bereits bei einem geringfügig über den genannten pH-Werten liegenden Säuregrad auftreten. Umgekehrt gilt, dass auch tiefere als die genannten pH-Werte von den Zähnen unbeschadet toleriert werden, wenn die Konzentration an Calcium/Phosphat in der angreifenden Lösung über der physiologisch im Speichel vorliegenden Konzentration liegt, also eine Übersättigung besteht.
Ursachen für erosiven Zahnhartsubstanzverlust
Bei der Ätiologie von Erosionen wird zwischen intrinsischen und extrinsischen Faktoren unterschieden. Zu den extrinsischen Faktoren zählen erosive Noxen wie Nahrungsmittel, saure Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel, die von aussen in die Mundhöhle gebracht werden. Als intrinsischer Faktor wird das Einwirken von Magenflüssigkeit auf die Zähne beschrieben. Dabei spielt nicht nur der saure Charakter der Magenflüssigkeit eine Rolle. Diese enthält auch proteolytische Enzyme, zum Beispiel Pepsin, die eine Degradation von Kollagen, wie es im Dentin enthalten ist, auslösen. Der Übertritt von Magenflüssigkeit in die Mundhöhle kann bei einer gastroösophagealen Refluxerkrankung vorliegen, aber auch durch regelmässiges Erbrechen von Nahrung wie zum Beispiel bei Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) ausgelöst werden. Refluxperioden treten gehäuft nachts und zum Teil unbemerkt auf. Sie können durch Medikamente oder bestimmte Grunderkrankungen ausgelöst werden und zu einem oralen pH-Wert-Abfall von deutlich unter 4 führen.
Klinische Ausprägungen
Neben dem unmittelbaren, irreversiblen Zahnhartsubstanzverlust durch Herauslösen und Wegschwemmen der Mineralien kommt es zu einer erosiven Erweichung der Zahnoberflächen. Bei einem einmaligen Angriff, wie er zum Beispiel beim Trinken eines erosionsfördernden Getränkes oder Erbrechen geschieht, ist diese erweichte Schicht nur wenige Nanometer dick. Allerdings ist diese Schicht sehr empfindlich gegenüber mechanischen Einflüssen. Etwa beim Zähnebürsten oder Zähneknirschen wird sie verstärkt abgetragen. Patienten mit regelmässigen Erosionsattacken weisen daher im Vergleich zu Kontrollgruppen einen im Mittel ca. 10-mal höheren Zahnhartsubstanzverlust auf. Davon sind oftmals nahezu alle Zähne eines Patienten betroffen, sodass es neben Schmerzen durch freiliegende Dentinoberflächen auch zu einem Bisshöhenverlust und ästhetischen Einbussen kommen kann.
Sportlergruppen mit erhöhter Erosionsprävalenz
Verschiedene Sportlergruppen bzw. Sportarten werden in der Literatur verstärkt mit dem Auftreten von Zahnerosionen in Verbindung gebracht. Oft werden in diesem Zusammenhang Ausdauersportler, Schwimmer sowie Ausübende von Sportarten genannt, bei denen eine Gewichtskontrolle eine bedeutende Rolle spielt.
Bei Ausdauersportlern wie zum Beispiel Langläufern, Radfahrern, Triathleten etc. ist dabei der besondere Umstand der häufigen Dehydrierung und Mundtrockenheit als ein zusätzlicher begünstigender Faktor zu sehen. Bei Mundtrockenheit fehlt der sonst durch den Speichel ausgeübte Schutz der Zähne vor Demineralisation. So trifft die aufgenommene Flüssigkeit auf ungeschützte Zahnoberflächen. Werden in diesem Fall Getränke mit einem (hohen) erosiven Potenzial zur Flüssigkeitskompensation konsumiert, steigt das Risiko für eine erosive Zahndemineralisation
stark an.
Die zum Teil sehr stark erhöhte Prävalenz von Erosionen bei Schwimmern oder anderen Wassersportlern wird mit dem direkten Einwirken von Schwimmbadwasser auf die Zähne erklärt. Das Risiko von Zahnerosionen bei Schwimmern ist aber nur erhöht, wenn der pH-Wert des Wassers nicht korrekt adjustiert ist. Zudem sind meist nur Wettkampfschwimmer davon betroffen, die während vieler Jahre den Schwimmsport ausgeübt haben. Der Hintergrund ist, dass Chlorverbindungen zur Desinfektion von Wasser in Schwimmbädern verwendet werden. Chlorverbindungen lösen sich in Wasser und verändern dessen pH-Wert. Zur Adjustierung auf den in Schwimmbädern üblichen pH-Wert von ca. 7,5 werden dem Wasser alkalisch wirkende Puffersubstanzen beigefügt.
In Sportarten wie Kunstturnen, Sportgymnastik, Ballett, Reitsport (Jockey), Skispringen oder Eiskunstlauf spielt die Gewichtskontrolle eine bedeutende Rolle. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass damit Essstörungen (Bulimie oder Anorexia nervosa) einhergehen, die von häufigem Erbrechen begleitet werden und damit einen erosiven Zahnhartsubstanzverlust auslösen.
Erosionsbegünstigende Ernährungsfaktoren
In zahlreichen Studien wird auf einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von sauren, insbesondere (isotonischen) Sportgetränken und dem Auftreten von Zahnerosionen bei Sportlern sowie in der Allgemeinbevölkerung hingewiesen. In den vergangenen Jahren ist der Konsum dieser Getränke erheblich gestiegen. Es wird zunehmend beobachtet, dass Sportler auch während des Trainings im dehydrierten Zustand Getränke wie zum Beispiel Soft- und Sportgetränke konsumieren. Auch Umfragen bei Zahnärzten haben ergeben, dass neben Essstörungen vor allem Sportgetränke als wesentliche Ursache von Erosionen bei Sportlern vermutet werden. Neben zahlreichen In-vitro-Untersuchungen untermauern eine Vielzahl an klinischen Studien diesen Zusammenhang. Diese Getränke weisen zwar meist einen erhöhten Mineralgehalt im Vergleich zu reinen Mineralwässern auf, sind aber oft auch mit Säurezusätzen versehen. Dadurch ergibt sich, dass bei diesen Getränken oftmals eine Untersättigung an Hydroxylapatit vorliegt und die Lösungen eine demineralisierende Wirkung haben, wodurch die Ausbildung von Erosionen begünstigt wird.
Publikationen zum allgemeinen Ernährungsverhalten von Sportlern fokussieren meist auf die Frage der Kohlenhydratzufuhr oder Einnahme von Nahrungssupplementen. Vereinzelt lassen sich aber auch Hinweise finden, dass Sportler im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einen erhöhten Konsum an (sauren) Früchten, Salat und Gemüse aufweisen. Dieses besondere Ernährungsverhalten von sportlich aktiven und gesundheitsbewussten Personen kann die Ausbildung von Erosionen zusätzlich begünstigen und sollte in einer entsprechenden Anamnese ausreichend Beachtung finden.
Nahrungsergänzungsmittel wie zum Beispiel Vitamin-C-Präparate, Magnesium-Substitute oder andere Anwendungen besitzen ebenso häufig einen stark erosiven Charakter und werden von vielen Athleten konsumiert. Besonders ungünstig dürfte sein, wenn diese nicht nur als Lösungen, sondern auch in Form von Kautabletten regelmässig konsumiert werden. Gleiches gilt für regelmässig eingenommene schmerzlindernde Medikamente wie zum Beispiel Acetylsalicylsäure in Kautablettenform.
Prävention
Bei der Prävention von erosivem Zahnhartsubstanzverlust gilt der Grundsatz, dass vor allem die Frequenz und Dauer des Einwirkens von erosionsfördernden Noxen auf die Zahnsubstanzen reduziert werden müssen. Alle im Folgenden genannten weiteren Empfehlungen stellen meist nur flankierende Massnahmen dar und gelten für erosionsgefährdete Sportler und Nicht-Sportler gleichermassen. Dies bedeutet vor allem, dass der behandelnde Zahnarzt dem Sportler die Ursachen der Zahnerosion verdeutlichen muss. Dabei ist zu bedenken, dass einzelne Aspekte, zum Beispiel die Kommunikation mit Personen mit Essstörungen, besondere Fähigkeiten erfordern. Daher sollten Zahnärzte gegebenenfalls auch die Konsultation anderer medizinischer Fachdisziplinen in Betracht ziehen: zum Beispiel Gastroenterologen bei Reflux, Psychiater/Psychologen bei häufigem Erbrechen oder Ernährungswissenschaftler. Die Aufgabe des Zahnarztes ist es, die betroffenen Personen direkt, aber auch Betreuer, Trainer oder Sportärzte auf diese Tatsache hinzuweisen, um rechtzeitig präventive Strategien und angepasste Verhaltensweisen festzulegen.
In Bezug auf Sportgetränke sollte der Hinweis gegeben werden, dass möglichst Getränke mit einem hohen Anteil an Calcium (und gegebenenfalls Phosphat) bevorzugt werden sollten. Es hat sich zur Erosionsvermeidung auch als wirksam erwiesen, verfügbaren Getränken zusätzlich Calcium, zum Beispiel in Form von Calcium-Brausetabletten, zuzugeben. Das Trinken über einen Strohhalm kann zusätzlich helfen, den Kontakt der Getränke mit den Zahnoberflächen zu reduzieren. Vermieden werden sollte auf jeden Fall das Umspülen des Mundes mit einem sauren Getränk.
Im Falle des Vorliegens von Bruxismus sollten funktionstherapeutische Ansätze gewählt werden, um diese zusätzliche zahnschädigende Komponente kausal zu behandeln.
Zum weiteren Schutz von Zahnhartsubstanzen können erosionsschützende Spüllösungen oder Zahnpasten eingesetzt werden. Hier haben Studien – neben dem Einsatz von hochkonzentrierten Fluoridpräparaten – vor allem einen guten Effekt bei Anwendung von Zinn-(Chlorid)-haltigen Produkten nachweisen können. Freiliegende, eventuell schmerzhafte Dentinareale können mit schichtbildenden Adhäsiven oder Versieglern vor weiteren Säureangriffen geschützt werden. Sollte der Zahnhartsubstanzverlust schon weit fortgeschritten sein, kann es zur Sicherung der Kaufunktion und der Ästhetik erforderlich werden, restaurative Massnahmen zu ergreifen.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Version der wissenschaftlichen Arbeit «Erosiver Zahnhartsubstanzverlust bei Sportlern» von Thomas Attin, Philipp Körner, Florian Wegehaupt, erschienen in QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN, Jahrgang 72, Ausgabe 9, September 2021. Das Literaturverzeichnis ist im Originalartikel zu finden.
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