Fachpersonen im Interview zum Thema Zahnerosionen

PD Dr. Thiago Saads Carvalho, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leiter Erosionsforschung an der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin, Universität Bern

 


Dr. phil. nat. Tommy Baumann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin, Universität Bern


JE SAURER DESTO EROSIVER

Saure Lebensmittel führen zu einer Beschädigung der Zahnoberfläche. Fachleute sprechen dabei von dentalen Erosionen. Die Zähne verlieren die äussere Schicht und dadurch ihre Form. Im Gegensatz zu Karies wird die Demineralisation der Zähne jedoch nicht durch Bakterien verursacht, sondern durch saure Substanzen.

Was sind die wesentlichen Unterschiede von Karies und Zahnerosionen?

Der Unterschied ist für viele nicht so klar, weil es bei beiden zu einer Demineralisation der Zahnoberfläche kommt. Der Hauptunterschied liegt in der Ursache der Demineralisation. Bei Karies wird diese durch Bakterien im Zahnbelag verursacht, die Zucker in Säure umwandeln. Bei Zahnerosionen hingegen wird die Demineralisation nicht von Bakterien verursacht, sondern durch Kontakt der Zähne mit sauren Subs­tanzen, üblicherweise aus sauren Lebensmitteln, aber auch bei saurem Aufstossen oder Erbrechen. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass bei Karies die Demineralisation ursprünglich unter der Oberflä­che stattfindet und daher eine Remineralisation zu einem gewissen Grad möglich ist, während bei der Zahnerosion die Demineralisation direkt an der Ober­fläche stattfindet und irreversibel ist.

Welche Faktoren können die Zahnerosion beeinflussen?

Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die meist in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden: ernährungsbeding­te und patientenabhängige Faktoren. Auf der ernäh­rungsbedingten Seite ist die chemische Zusammen­setzung der Hauptfaktor, insbesondere wie sauer ein Lebensmittel ist – üblicherweise je saurer umso erosiver. Auf der patientenabhängigen Seite gibt es mehrere Faktoren, beispielsweise wie oft und wie viel saure Lebensmittel konsumiert werden, oder was die Gewohnheiten bezüglich Oralhygiene sind. Weitere wichtige Faktoren sind individuelle Unterschiede wie zum Beispiel die Zusammensetzung des Speichels.


Was weiss man über die Speichelzusammensetzung?
Speichel hilft bei der Verdünnung und Neutralisation von sauren Substanzen, sowie bei deren Entfernung durch das Auslösen des Schluckreflexes, was alles zur Verminderung einer Demineralisation beiträgt. Ein wichtiger Faktor ist daher der Speichelfluss, der durch Medikamente, Krankheiten oder hohes Alter beeinflusst werden kann. Falls dadurch der Spei­chelfluss vermindert wird, ist auch der natürliche Schutz beeinträchtigt. Ausserdem gibt es in der Spei­chelzusammensetzung (darin enthaltene Proteine und Ionen) individuelle und altersspezifische Unter­schiede. Besonders der Gehalt und die Zusammen­setzung der Speichelproteine sind dabei von Interes­se, da diese an die Zähne binden können und da ein schützendes Pellikel bilden, das die Demineralisation hindert.

Was sind erosive Lebensmittel?

Zahnerosion tritt auf, wenn die Zähne häufig mit et­was Saurem in Kontakt kommen, zum Beispiel Soft­drinks, Energydrinks, Fruchtsäfte, Eistee, Cidre, ei­nige Weine, Früchte oder saure Süssigkeiten. Diese Getränke sind eine der häufigsten Ursachen von Zahn­erosionen, da sie typischerweise oft und über eine längere Dauer (z.B. durch Nippen) konsumiert wer­den. Oft nehmen wir wegen des süssen Geschmacks zudem nicht unbedingt wahr, wenn ein Getränk sauer ist. Auch die meisten Früchte sind sauer, allerdings sollten wir nicht auf sie verzichten, da sie ansonsten sehr gesund sind. Häufiger und übermässiger Kon­sum von sehr sauren Früchten kann aber zu Zahne­rosionen beitragen. Jüngst gibt es zudem eine Zunah­me im Konsum von sauren Süssigkeiten, besonders unter Kindern. Auch dies ist ein wichtiger Faktor, den man im Auge behalten sollte.

Was ausser erosive Lebensmittel kann eine Zahnerosion auslösen?

Andere saure Substanzen, mit denen die Zähne in Kontakt kommen, können auch Zahnerosionen verur­sachen. Es gibt berufsbedingte Situationen, in denen z.B. professionelle Schwimmer, Weintester oder Mit­arbeiter in Batteriefabriken sauren Flüssigkeiten oder Dämpfen ausgesetzt sind, aber dies sind Spezialfälle. Generell sind Reflux oder Erbrechen typischere Situa­tionen, in denen Säure aus dem Magen in den Mund gelangt und Demineralisation verursachen kann. Dies passiert besonders auch bei Essstörungen mit häufigem Erbrechen (wie Bulimia nervosa).


Wie werden Schäden an Zahnschmelz und Zahnbein diagnostiziert?

Die Zahnschäden können verschiedene Formen an­nehmen, abhängig von der Position im Mund. Ge­nerell verlieren die Zähne die äussere Schicht – den Zahnschmelz – und verlieren dadurch ihre Form. Dies führt typischerweise zu einer Abflachung der Oberflä­chen. An den Zahnhälsen von Eck­- und Backenzähnen kann es zu keilförmigen Defekten kommen, welche von Überempfindlichkeit begleitet werden können. Die Diagnose kann von einem Zahnarzt bei der rou­tinemässigen Untersuchung vorgenommen werden. Bei Fragen kann man sich an seine Zahnarzt­ oder die Dentalhygiene­Praxis wenden.

Gibt es Produkte, die die Säureeinwirkungen neutralisieren können?

Ja, für einige Zahnpasten und Mundspüllösungen, die Zinnfluorid oder Zinnchlorid enthalten, konnten positive Effekte nachgewiesen werden, die zu einer Verlangsamung des Fortschreitens von Erosionen führen. Im Falle von Dentinüberempfindlichkeit kann der Zahnarzt oder die Dentalhygienikerin auch zu ergänzenden Behandlungsmöglichkeiten beraten. Allerdings ist es weiterhin wichtig, immer eine gute Mundhygiene zu bewahren. Bei Zahnerosionen soll­te man nicht nur diese Produkte anwenden, sondern zusätzlich die auslösenden Faktoren bestimmen und beseitigen, um den Zustand unter Kontrolle zu brin­gen.

Welche Behandlungsmethoden gibt es?

Das Hauptziel ist es, das Fortschreiten der Zahnero­sion zu stoppen oder zu verlangsamen. Dazu sollten die Diagnose und die Identifikation der Ursachen in einem möglichst frühen Stadium stattfinden: von wo kommen die Säuren, wann kommen sie mit den Zähnen in Kontakt und wie oft geschieht dies? Der Zahnarzt kann dann ein individuell zugeschnittenes Präventionsprogramm erstellen, welches folgende Massnahmen beinhalten kann:

Bei gravierenderen Fällen wird der Zahnarzt die Mög­lichkeiten einer Sanierung der Zähne diskutieren, um mögliche Schmerzen zu lindern und die Funktionali­tät und Ästhetik wiederherzustellen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Text bei gewissen Begriffen auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und das generische Maskulinum oder Femininum verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter.


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